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DIE EU-TAXONOMIE: DAS FÜR, DAS WIDER UND ALLES, WAS DAZWISCHEN LIEGT.

Von Gerrit Dubois,
Responsible Investment Specialist bei DPAM

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    • Die EU hat einen Entwurf der vier verbleibenden Taxonomie-Kriterien veröffentlicht.

    • Diese vier Punkte führen die ersten beiden Kriterien näher aus, indem sie mehr in die Tiefe und in die Breite gehen.

    • Hierbei handelt es sich um ein vielversprechendes Instrument für Veränderung, das aber auch durchweg mehr Fokussierung erfordert.

    • Der Inhalt der Taxonomie läuft Gefahr, übermäßig technisch und restriktiv zu werden.

Angesichts der bevorstehenden UN-Klimakonferenz COP26 und des jüngsten Berichts der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), der die Diskussion über die Erderwärmung angeheizt hat, könnte es interessant sein, die in Arbeit befindlichen Pläne der EU näher anzuschauen. Wie in unseren früheren Artikeln bereits erwähnt, erarbeitet die EU eine Reihe von aufsichtsrechtlichen Maßnahmen, um für mehr Transparenz auf dem Markt zu sorgen und Anleger in Richtung von Investments zu führen, die wirklich ‚grün‘ sind. Einer der Bausteine des Green Deal der EU ist die sogenannte „EU-Taxonomie für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten“. Wir wollen diese neue Verordnung unter die Lupe nehmen, die Inhalte der Taxonomie erörtern und ihre Auswirkungen einschätzen.

Die Taxonomie lässt sich grob beschreiben als ein Klassifizierungssystem, das sich auf die 6 Umweltziele konzentriert, die in der untenstehenden Grafik dargestellt sind:

EU-Taxonomie: Umweltziele

Quelle: Europäische Kommission (2019)

Um eine direkte Verbindung zur Unternehmenswelt herzustellen und die Transparenz und Verständlichkeit für alle Interessengruppen zu verbessern, werden die Ziele mit einer Liste von Wirtschaftstätigkeiten verknüpft. Diese sind wiederum mit wissenschaftlich untermauerten technischen Screening-Kriterien verbunden. Doch wie weit ist die EU damit, diese Tätigkeiten und Screening-Kriterien zu definieren?

Das Screening-Kriterium zu den Zielen „Minderung des Klimawandels“ [1] und „Anpassung an den Klimawandel“ [2] wurden bereits formal eingeführt. Im August dieses Jahres veröffentlichte die Arbeitsgruppe, die hinter dem Vorschlag für die Taxonomie steht (Platform on Sustainable Finance [PSF]), einen ersten Vorschlag zu den Förderkriterien für die vier verbleibenden Ziele der Taxonomie (d. h. nachhaltige Nutzung von Wasser- und Meeresressourcen [3], Kreislaufwirtschaft [4], Vermeidung von Umweltverschmutzung [5], gesundes Ökosystem [6]). Da die formelle Verabschiedung erst im Jahr 2022 zu erwarten ist, haben Anleger und das breitere Spektrum der Finanzakteure bereits jetzt die Möglichkeit, Rückmeldungen zum ersten Entwurf zu geben.

BEGRENZTE AUSWEITUNG DES GELTUNGSBEREICHS, ABER EINE LANGE LISTE VON TECHNISCHEN KRITERIEN

Obwohl die Europäische Kommission (EK) vorgeschlagen hat, für jedes der vier verbleibenden Ziele eine Reihe von wichtigen Wirtschaftszweigen zu priorisieren, enthält der Anhang zu dem 100-seitigen Bericht (d. h. die Liste der technischen Screening-Kriterien) sage und schreibe 993 Seiten mit detaillierten Kriterien für jeden Wirtschaftszweig. Zunächst können wir feststellen, dass die ersten beiden Ziele zwar nur eine begrenzte Anzahl von börsennotierten Unternehmen abdecken, der Anwendungsbereich der Verordnung jedoch durch das Hinzufügen der übrigen vier Ziele (wenn auch nicht wesentlich) erweitert wird. Die PSF-Arbeitsgruppe hat ihre Überlegungen zur Priorisierung der Aktivitäten jedoch klar dargelegt. In Übereinstimmung mit der Auswahl für die ersten beiden Ziele (hauptsächlich auf der Grundlage des jeweiligen Anteils der Sektoren an den globalen Treibhausgasemissionen sowie des Verbesserungspotenzials bestimmter Makrosektoren) erfolgte die Auswahl für die übrigen vier Ziele auf der Grundlage mehrerer Indikatoren bezüglich der Auswirkungen bzw. der Dringlichkeit und des Verbesserungspotenzials auf der Ebene der Wirtschaftszweige.

Zu den neuen Wirtschaftszweigen, insbesondere im Hinblick auf die Marktkapitalisierung, gehören die Herstellung von Arzneimitteln, Chemikalien, Nahrungsmitteln und Getränken und elektronischen Geräten sowie die Tierproduktion, der Pflanzenbau und die Fischerei. Angesichts der erheblichen Investitionslücke von 350 Milliarden Euro pro Jahr zur Erreichung der Klima- und Energieziele für 2030 (d. h. 55 % Treibhausgasreduzierung gegenüber dem vorindustriellen Niveau) und zusätzlicher Investitionen in Höhe von 100-150 Milliarden Euro pro Jahr zur Erreichung umfassenderer Umweltziele ist die Herausforderung nach wie vor enorm.

Die vorgeschlagenen Kriterien sehen jedoch keine wesentliche Erweiterung des Tätigkeitsbereichs vor, sondern konzentrieren sich auf die ursprünglich erfassten Tätigkeiten wie Stromerzeugung, Verkehr und Gebäude. Dadurch werden sie restriktiver und erfordern eine wesentlich umfangreichere Datenerhebung. Für die in die Liste aufgenommenen Tätigkeiten (z. B. die pharmazeutische Industrie, die pflanzliche Erzeugung oder die Lebensmittel- und Getränkeindustrie) sind die Zulassungskriterien nicht nur sehr technisch, sondern auch recht restriktiv. Darüber hinaus deckt die Liste nicht alle relevanten Teiltätigkeiten innerhalb der betreffenden Branchen ab. Im Folgenden werden einige konkrete Beispiele aufgeführt:

TEXTILINDUSTRIE: EINE LANGE LISTE TECHNISCHER, RESTRIKTIVER ZULASSUNGSKRITERIEN

Im EU-Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft werden die notwendigen Schritte und Anforderungen für die Textilindustrie (einschließlich Textilveredelung, Herstellung, Reparatur, Aufarbeitung usw.) klar beschrieben. Der Aktionsplan zielt darauf ab, bis 2050 eine nachhaltige und vollständig kreislauforientierte Wirtschaft zu erreichen. Um dorthin zu kommen, drängt er auf strengere Vorschriften und Ziele bis 2030. Die technischen Prüfkriterien sind jedoch lang und detailliert. Auch wenn die daraus resultierende Datenerhebung eine enorme Belastung für die Textilindustrie darstellen wird, so zeigen die vorgeschlagenen Kriterien doch einen glaubwürdigen Weg auf, um Investitionen in nachhaltigere Wirtschaftstätigkeiten und eine grünere Zukunft zu lenken

FISCHEREI: WIE STEHT ES MIT DER AQUAKULTUR?

Bei einigen Tätigkeiten sind nicht alle relevanten Teiltätigkeiten ordnungsgemäß abgedeckt. In der Fischereiindustrie zum Beispiel gilt die Taxonomie nicht für die Aquakultur. Dabei handelt es sich um eine fragwürdige Entscheidung, da dieser Teilsektor unter Umweltgesichtspunkten stark in die Kritik geraten ist. Die PSF argumentiert, dass sich die Probleme in der Aquakultur von denen in der Fischerei unterscheiden und es daher schwierig ist, Kriterien aus der Fischerei auf die Aquakultur zu übertragen. Obwohl die PSF „nachdrücklich empfiehlt, der Aquakultur in der nächsten Runde Priorität einzuräumen“, könnte dies eine verpasste Gelegenheit gewesen sein.

STROMERZEUGUNG: ENDLICH SCHLUSS MIT DER EWIGEN KRITIK DER FOSSILEN BRENNSTOFF-LOBBY UND DER EXTREMEN UMWELTSCHÜTZER?

Die Kriterien konzentrieren sich auch auf die in den ersten delegierten Rechtsakten erfassten Tätigkeiten (z. B. Stromerzeugung, Verkehr und Gebäude), wodurch diese restriktiver werden und mehr Daten liefern müssen. In diesen ersten Gesetzen wurden an die Stromerzeugung nur begrenzte technische Anforderungen gestellt (abgesehen vom Schwerpunkt Kohlenstoffemissionen). Angesichts des neuen Vorschlags befasst sich die PSF auch mit verschiedenen Arten der Stromerzeugung. Es scheint jedoch, dass sich die Expertengruppe nur an eine allgemeine Beschreibung hält, ohne strenge Kriterien oder Schwellenwerte festzulegen. Handelt es sich um eine weitere verpasste Gelegenheit?

WANN KÖNNEN WIR MIT EINER FORMELLEN ANNAHME RECHNEN?

Der Konsultationszeitraum läuft bis Ende September, und die Arbeitsgruppe beabsichtigt, der Europäischen Kommission ihren endgültigen Taxonomiebericht bis November vorzulegen. Die formelle Verabschiedung (durch einen delegierten Rechtsakt) wird für 2022 erwartet. Da der jüngste IPCC-Bericht den Druck erhöht und die UN-Klimakonferenz 2021, COP 26, näher rückt, sind im endgültigen Entwurf möglicherweise noch erhebliche Änderungen am Geltungsbereich und an den technischen Prüfkriterien zu erwarten. Wie im IPCC-Bericht betont wird, sind beispiellose Maßnahmen erforderlich, um die globale Erwärmung auf 1,5 °C und die physischen Risiken zu begrenzen. Das globale CO2-Budget schrumpft, und das bedeutet, dass in jeder Branche so schnell und effizient wie möglich Anstrengungen zur Reduzierung der Emissionen unternommen werden sollten.

Im Moment begrüßen wir die Entwicklungen aufrichtig und sind gespannt auf die nächsten Schritte. Denn sowohl die Unternehmen als auch die Finanzindustrie müssen für mehr Transparenz und Verantwortlichkeit sorgen, um Investitionen in glaubwürdige grüne Aktivitäten zu lenken. Laut einer durchgesickerten Version der dritten Arbeitsgruppe des IPCC-Bewertungsberichts (dessen Bericht erst im nächsten Jahr veröffentlicht werden soll) müssen die jährlichen Ausgaben um das Fünffache steigen, um die geforderten Ziele zu erreichen, wobei die Treibhausgasemissionen bis 2025 ihren Höchststand erreichen, Kohle- und Gaskraftwerke bis 2030 auslaufen und alle neuen Öl- und Gaserschließungen sofort gestoppt werden müssen (in Übereinstimmung mit den Ergebnissen der IEA). Hervorzuheben ist jedoch, dass die Taxonomie als alleiniges Instrument zur Förderung des Wandels nicht ausreicht . Das klimapolitische Vorzeigeprojekt der EU, das Emissionshandelssystem, muss dazu beitragen, dass Kapital- und Investitionsströme in Aktivitäten, die mit der Taxonomie in Einklang stehen, gelenkt werden. Da wir eine mehrjährige Testphase hinter uns haben und es bis jetzt an finanzieller Relevanz mangelt (auch wenn sich dies allmählich ändert), muss die angekündigte Überarbeitung des Systems den Wandel in allen relevanten Sektoren fördern und ihre Aktivitäten an den Kriterien der Taxonomie ausrichten, da es sich in der Tat um „Alarmstufe Rot für die Menschheit“ handelt.

Der Zeitplan der EU-Taxonomie

Quelle: DPAM

Man könnte die Frage stellen, ob die soziale Seite nicht auf der Strecke bleibt. Die Umwelttaxonomie enthält „soziale Schutzmaßnahmen“ in Verbindung mit den wirtschaftlichen Aktivitäten, um sicherzustellen, dass die Mindestkriterien erfüllt werden. Zweitens arbeitet die Europäische Kommission an einer Sozialtaxonomie, die auf internationalen Normen, Verträgen und Zielen wie der UN-Menschenrechtserklärung und den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung basiert, um zusätzliche positive Auswirkungen auf die soziale Seite zu erzielen.

Interessanterweise wird im ersten Entwurf, der Anfang Juli veröffentlicht wurde, der Schwerpunkt auf zwei Aspekte gelegt. Einerseits schlägt die Arbeitsgruppe eine horizontale Dimension vor, indem sie eine gute Unternehmensführung und betriebliche Kennzahlen für die gesamte Wertschöpfungskette (d.h. alle Interessengruppen) berücksichtigt, was zu einer Kombination von Kriterien auf Unternehmens- und Aktivitätsebene führt. Andererseits wird eine vertikale Dimension vorgeschlagen, bei der der Schwerpunkt auf Produkte und Dienstleistungen für die menschlichen Grundbedürfnisse und die Basisinfrastruktur gelegt wird. Das bedeutet, dass wirtschaftliche Aktivitäten, die den Zugang zu solchen Produkten und Dienstleistungen erleichtern, ohne die Anstrengungen zur Erreichung anderer sozialer Ziele zu beeinträchtigen, als sozial angesehen werden können. Bleiben Sie auf dem Laufenden, sobald es neue Informationen zu diesem Vorschlag gibt.

Haben Sie Sonntag morgen etwas Zeit? Den Vorschlagsentwurf zu den verbleibenden vier Taxonomie-Zielen finden Sie hier, den technischen Anhang hier.

1Beachten Sie, dass die Taxonomie-Verordnung direkt mit der Überarbeitung der Richtlinie über die nichtfinanzielle Berichterstattung (für Offenlegungen von Unternehmen/Industrie) sowie der Verordnung über die Offenlegung nachhaltiger Finanzinstrumente (für Finanzinstitute) verknüpft ist.

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