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CIO’S VIEW

Eine neue Sicht auf US-Staatsanleihen

Von Peter De Coensel,
CIO Fixed Income bei DPAM

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STAND DER DINGE

    • Viele Marktteilnehmer waren überrascht, als US-Staatsanleihen am Donnerstag, den 15. April, absackten. Trotz einer Reihe starker Wirtschaftsindikatoren fielen 10-jährige US-Papiere von 1,70 % am Dienstag auf ein Tief von 1,527 % während des Handelstages am Donnerstag. Trotz eines Anstiegs der Gesamtinflation im Monatsvergleich um +0,6 % gemessen am US-Verbraucherpreisindex, was einem Plus von 2,6 % gegenüber den Inflationsdaten vom Vorjahr entspricht, stieg der Druck für eine Pause beim Aufwärtstrend der US-Zinsen am langen Ende der Renditekurve. Die am Donnerstag veröffentlichte Zahl der Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe war mit 576.000 eine Überraschung im Vergleich zu den Konsensschätzungen von 700.000 und hätten neben soliden Einzelhandelsumsätzen mit +9,8 % im Monatsvergleich Schaden an den weltweiten Anleihemärkten anrichten müssen. Doch der Markt gab nicht nach und startete aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz eine Rally. In diesem Artikel möchte ich die zugrunde liegenden Kräfte beleuchten, die für die Renditevolatilität und die Nachfrage nach US-Staatsanleihen verantwortlich sind. Wir werden die treibenden Kräfte der Nachfrage nach US-Staatsanleihen auflisten und die Struktur ihrer ausstehenden Bestände näher betrachten. Dabei kommen wir zu einigen interessanten Ergebnissen. Zweck der Übung ist es, ein wenig Licht in die komplexen Gleichungen zu bringen, die die Form von Renditekurven bestimmen. Makroökonomische Indikatoren sind nur ein paar von über 100 Teilen dieses Puzzles. Bildlich gesprochen haben wir es mit einem Puzzle mit viel blauem Himmel und Reflexionen von Sonnenlicht im Wasser zu tun.

    • Einen ersten positiven Faktor für die Nachfrage nach US-Treasuries findet man im Sektor der leistungsorientierten US-Pensionsfonds. Am Donnerstag wurde ein Bericht veröffentlicht, in dem die Öffentlichkeit erfuhr, dass sich der Finanzierungsstand der 100 größten leistungsorientierten Pensionsfonds von US-Unternehmen zum Ende des 1. Quartals 2021 auf 98,4 % verbessert hatte. Der Pensionsfondsindex Milliman 100 PFI ist weniger als 2 % von seiner Vollfinanzierung von 100 % entfernt, wobei das Defizit seit dem 30. September 2020 um fast 250 Milliarden USD gesunken ist. Dieser markante Anstieg der Finanzierungskennzahlen führt zu einer starken Nachfrage nach Treasuries und STRIPS (Separate Trading of Registered Interest and Principal of Securities) mit langer Duration. Im 1. Quartal 2021 nahm der Bestand umlaufender Principal STRIPS um 22 Milliarden USD zu, ein Rekordanstieg. Diese starke Nachfrage hat neben anderen Faktoren die Zinsdifferenz zwischen 10-jährigen und 30-jährigen US-Zinsen in den vergangenen eineinhalb Monaten um 15 Bp. verringert. Es ist mit einer anhaltend robusten Nachfrage von Pensionsfonds nach STRIPS und länger laufenden Papieren (Treasuries und Investment-Grade-Unternehmensanleihen) zu rechnen. Währenddessen geht am Markt die Kunde um, dass für den Rest des Jahres 2021 weitere Aktiengewinne zwischen 5 % und bis zu 10 % zu erzielen seien. Pensionsfonds kümmern sich jedoch nicht darum, was der Rest des Jahres bringen mag. Es geht ein Seufzer der Erleichterung darüber um, dass eine Finanzierung von 100 % fast erreicht ist, und Pensionsfonds werden alles in allem die Wahrscheinlichkeit erhöhen wollen, dass sie dicht an diesem Finanzierungsgrad bleiben, indem sie in risikolose Staatsanleihen oder hochwertige langlaufende IG-Unternehmensanleihen investieren. An diesem Punkt ergibt unser eigenes Research in Bezug auf die Korrelation der Renditen eine anhaltend negative Korrelation zwischen den Renditen von US-Aktien und US-Anleihen, da die Geldpolitik äußerst akkommodierend bleiben wird und ein Rückgang der Inflation kein Basisszenario darstellt. In dem Moment, in dem US-Aktien ein wenig von ihrem erstaunlichen Momentum verlieren, werden US-Staatsanleihen davon profitieren.

    • Eine zweite positive Rahmenbedingung für US-Staatsanleihen ist die zusätzliche Rendite, die Nicht-USD-Anleger erzielen können, wenn sie in ihrer Heimatwährung denominierte Staatsanleihen verkaufen und Treasuries mit kurzfristiger Währungsabsicherung kaufen. Für deutsche, britische und japanische Anleger liegt diese Renditedifferenz derzeit auf dem höchsten Stand seit 2015. Für japanische und deutsche Anleger bieten 10-jährige US-Treasuries, bereinigt um eine sechsmonatige Währungsabsicherung, eine zusätzliche Rendite von 100 bis 120 Bp. gegenüber 10-jährigen JGBs bzw. Bundesanleihen. Für einen Anleger in 10-jährigen GILTs liegt das Renditeplus bei 60 Bp., wenn er in 10-jährige US-Papiere umschichtet.

    • Das Phänomen einer relativen Knappheit am längeren Ende der US-Renditekurve ist ein dritter Nachfragetreiber, der dem Aufwärtsdruck auf die Renditen Grenzen setzen könnte. Ende März 2021 beliefen sich die gesamten US-Treasury-Emissionen, einschließlich kurzlaufender T-Bills, auf 21,7 Billionen USD. T-Bills machen 20,3 % dieses Betrags aus, während auf nominale Staatsanleihen 66,7 % und auf inflationsgebundene Emissionen 6,5 % entfallen. Diese Top-3 machen neben weniger bedeutenden Kategorien von Staatspapieren 93,5 % aus. Die jeweiligen Runden der quantitativen Lockerung der Fed über die vergangenen 12 Jahre haben die Eigentümerschaft in Richtung der Fed-Bilanz folgendermaßen verschoben: Die Fed hält 6,5 % der T-Bills, 28,9 % der nominalen US-Staatsanleihen und 23,2 % der inflationsgebundenen Papiere. Doch das Interessante kommt noch. Bei den nominalen Treasuries (66,7 %) entfallen 9,5 % auf Laufzeiten von unter einem Jahr, 31 % auf 5-jährige Papiere, 13,5 % auf das Laufzeitspektrum 5-10 Jahre und nur 12 % auf Laufzeiten von über 10 Jahren. Die Gewichtung tendiert in Richtung kürzer laufender Emissionen. Die durchschnittliche Laufzeit reiner nominaler US-Staatsanleihen liegt bei etwa 7,2 Jahren bei einem Gesamtbestand umlaufender Papiere von 14,5 Billionen USD Ende März. Somit macht das lange Ende von 10 Jahren und mehr „nur“ 2,7 Billionen USD aus, von denen sich 1,02 Billionen USD im Besitz der Fed befinden. In Prozent ausgedrückt besitzt die Fed 37,8 % der Treasuries mit einer Laufzeit von 10 Jahren und mehr. Worauf ich hinaus will, ist, dass der Streubesitz von US-Treasuries mit Laufzeiten ab zehn Jahren in einer Welt, die nach Rendite lechzt, bescheiden ist. Dies erklärt den plötzlichen großen Erfolg, den die Auktion eines 30-jährigen Papiers am 13. April hatte. In dem Moment, in dem Endanleger den Wert erkennen, ist die Auswirkung „unerwartet“. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die größten Verkäufer während der Ausverkaufsmonate Februar und März fast alle ihren Sitz auf den Cayman-Inseln hatten… Ja genau, die Verkäufer, die die US-Renditen in die Höhe getrieben haben, kamen vorwiegend aus dem „Fast Money- bzw. Hedgefonds-Sektor“.

BEWERTUNGEN

    • US-Staatsanleihen stießen in der vergangenen Woche auf starkes Kaufinteresse. Die Zinsen für 10-jährige Treasuries fielen um 8 Bp. und schlossen bei 1,58 %. Die Zinsdifferenz zwischen 2- und 30-jährigen Papieren lag zum Ende der Woche bei 211 Bp. Vor etwa einem Monat nannte ich auf der Grundlage früherer Phasen der Versteilerung der Renditekurve einen Zielhöchstwert von 215 Bp. Diese durch quantitative Lockerung kontrollierte Versteilerung trifft effektiv auf starken Widerstand. Der Schaden, den die Pandemie in der Welt- und der US-Wirtschaft verursacht hat, wird immer noch viel diskutiert. Interessanterweise verschob sich die von der Marktbewertung induzierte erste Leitzinserhöhung durch die Fed vom Dezember 2022 auf April 2023. Die Fed wird noch mehr Mühe darauf verwenden müssen zu erklären, dass kurzfristige Wirtschaftsindikatoren in der frühen Phase einer Erholung sehr volatil sind. Betrachtet man die Indikatoren für die US-Kapazitätsauslastung oder den Arbeitsmarkt (Langzeitindikatoren), stellt man fest, dass die Herausforderungen groß und zahlreich sind.

    • Europäische Staatsanleihen gaben weitere 19 Bp. nach. Der seit Jahresbeginn entstandene Schaden verschärft sich in Richtung 2,82 %. In den kommenden Wochen wird der Sektor einige Unterstützung erhalten, da Rückzahlungen und Kuponzahlungen erheblich sind. Unter Berücksichtigung einer angemessenen Intervention der EZB durch den Kauf von Staatsanleihen aus dem EWR mit einem Volumen von 23 Milliarden EUR im Rahmen der Programme PEPP und APP dürfen wir mit einer weiteren Konsolidierung der Renditen rechnen. Letztere dürfte auch die Bewertungen italienischer, spanischer und portugiesischer Staatsanleihen stützen. Angesichts einer starken Forward Guidance und des Willens zu quantitativer Lockerung, die auf der EZB-Sitzung am kommenden Donnerstag geäußert werden, sollte man mit einer anhaltenden Konvergenz der Renditen innerhalb des EWR rechnen.

    • Bei europäischen Spread-Instrumenten kann ich keine bedeutenden Änderungen melden. Europäische Hochzinsanleihen steuerten weitere 15 Bp. zur Performance-Rechnung bei, womit sie seit Jahresbeginn auf ein Ergebnis von +2,20 % zusteuern. IG-Unternehmensanleihen gaben leicht um 7 Bp. nach und schlossen die Woche mit -0,75 % seit Jahresbeginn. Die Primärmärkte sind weiterhin lebhaft. Die Finanzierungsbedingungen sind nach wie vor äußerst günstig für europäische (und im weiteren Sinne auch) weltweite Large Caps.

    • Die Lokalwährungen der Schwellenländer (EM) entwickelten sich in der vergangen Woche gut. Die Rendite des EM-Lokalwährungsindex (GBI-EM) stabilisiert sich bei etwa 4,88 %, während der EM-Währungsindex 0,9 % zulegte. Die Währungsvolatilität fiel leicht von 10,50 auf knapp unter die 10er-Marke. Trotz der kürzlich von der Biden-Regierung verhängten Sanktionen gegen Russland wurde der russische Rubel (+1,85 %) nur vom südafrikanischen Rand (+2,10 %) und vom mosambikanischen Metical (+11,4 %) geschlagen. Der paraguayische Guarani (-3,50 % in Euro), der Jamaica-Dollar (-2,60 %) und der uruguayische Peso (-1,00 %) verzeichneten das höchste Minus.

    • Das reale BIP-Wachstum Chinas stieg dank günstiger Basiseffekte auf +18,3 %. Im ersten Quartal 2021 sorgte das BIP jedoch mit +0,6 % im Quartalsvergleich für eine negative Überraschung und erwies sich als eines der schwächsten Quartale in der Geschichte. Die Konjunkturdaten fielen im März mit einer Abschwächung der Industrieproduktion, bei den Dienstleistungen und den Investitionsausgaben bei zugleich anziehenden Einzelhandelsumsätzen gemischt aus. Alle Blicke sind auf Huarong Asset Management gerichtet, da Anleger zweifeln, ob das in Not geratene Staatsunternehmen der bevorstehenden Rückzahlung einer Anleihe mit einem Volumen von 2,5 Milliarden CNY, die an diesem Sonntag fällig ist, nachkommen kann. Wir warten immer noch auf Einzelheiten zu den Restrukturierungsplänen, nachdem das Unternehmen die Frist für die Vorlage seiner jährlichen Gewinnzahlen versäumt hat.

    • Die Renditen brasilianischer Lokalwährungsanleihen stiegen weiter. Die Kombination aus dem düsteren Zustand der Haushaltskassen zusammen mit der kurzfristig drohenden Gefahr einer Überschreitung der verfassungsmäßigen Ausgabengrenze, und einem Präsidenten, der die COVID-19-Todesfälle als „nun mal geschehen“ bezeichnete, hatte die Wirkung eines giftigen Cocktails. Seit Anfang dieses Jahres stiegen die Renditen 10-jähriger Anleihen um 250 Bp. auf etwa 9,50 %. Die 10-jährigen brasilianischen Zinsen schwanken dicht an oder knapp über den Renditen 10-jähriger südafrikanischer Rand-Anleihen. Wir gehen davon aus, dass die Banco Central die Tagesgeldzinsen auf ihrer nächsten für den 5. Mai geplanten Sitzung um 1 % auf 3,75 % anheben wird.

    • Brüssel wies einen Antrag der neuen Regierung Montenegros auf Unterstützung bei der Refinanzierung eines chinesischen Kredits in Höhe von einer Milliarde USD für ein nicht fertiggestelltes Autobahnprojekt zurück. Das teuerste Autobahnprojekt der Welt, das von der Chinese Road and Bridge Corporation gebaut wird und von der vorherigen Regierung Montenegros in Auftrag gegeben wurde, stürzte den EU-Beitrittskandidaten in eine Schuldenkrise. Trotz der Tatsache, dass die Bekämpfung des chinesischen Einflusses in der Region aus geopolitischer Sicht eine gute Gelegenheit sein könnte, ist fraglich, ob eine Mehrheit der EU-Bürger damit einverstanden wäre, dass mit Steuergeldern die Rückzahlung eines Darlehensbetrages an China unterstützt wird. Anleihen mit 7-jähriger Laufzeit, die im Dezember vergangenen Jahres aufgelegt wurden, verloren seither 165 Bp.

FAZIT

In der Welt der Anleihen sind die Dinge nie so, wie die breite Öffentlichkeit meint. Die „Preferred Habitat Theory“ wird oft vergessen. Doch die kombinierte Wirkung von institutionellen Anlegern und Zentralbanken sollten im Hinblick auf die Kontrolle, die sie auf die jeweiligen Teile der Renditekurve zu jeder Zeit ausüben, nicht unterschätzt werden.

Heute ist das Interesse an US-Staatsanleihen gestiegen. Pensionsfonds haben langfristigen Wert und einen Diversifikationseffekt entdeckt. Nicht-USD-Anleger können zugunsten von US-Staatsanleihen arbitrieren und den längerfristigen Wert ihrer Portfolios erhöhen.

Die Laufzeitenstruktur von US-Staatsanleihen wird oft übersehen. Ihre durchschnittliche Duration ist im Vergleich zu anderen OECD-Ländern eher kürzer. Das unterstützt die aktuellen Bewertungen und hält die längerfristigen Renditen in Schach. Jeder Schritt der Fed in Richtung einer „Operation Twist“ (Erhöhen der Käufe im Rahmen der quantitativen Lockerung am längeren Ende der Renditekurve) über den Rest des Jahres 2021 könnte viele Marktteilnehmer mit seiner Wirkung, die langfristigen Renditen nach unten zu treiben, überraschen.

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