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KURSWECHSEL ODER NICHT? EINE UNTERSUCHUNG ZUR GELDPOLITIK DER EZB

Von Lowie Debou,
Fixed Income Fund Manager

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In den letzten Wochen wurden die Erwartungen eines Kurswechsels der Zentralbank heiß diskutiert. Dies erinnert uns an die endlosen Diskussionen darüber, ob die Inflation nur vorübergehender Art sei. Der Ausdruck ‚Kurswechsel‘ ist jedoch belastet und sollte mit Vorsicht verwendet werden, da die Auswirkungen auf die Portfolioausrichtung gravierend sind. Unseres Erachtens ist es nicht angebracht, in diesem Stadium von einem Kurswechsel der Zentralbank zu sprechen. Solange Zentralbanken nicht von einer restriktiven zu einer expansiven Geldpolitik wechseln, ist es weniger ein Kurswechsel als eine logische Fortsetzung der restriktiven Geldpolitik. Was die Zinspolitik der EZB betrifft, so kann die Entwicklung besser beurteilt werden, wenn die geldpolitischen Maßnahmen in verschiedene Phasen unterteilt werden:

  1. Die Zentralbank hebt anfangs die Zinsen stark an, da die Inflationsdynamik außer Kontrolle geraten ist oder droht, außer Kontrolle zu geraten. Starke Anhebungen sollen das Risiko für unvorhersehbare Ereignisse (Tail-Risiko) aus verankerten (oder nicht ausreichend verankerten) mittelfristigen Inflationserwartungen unter Kontrolle halten. Das Tail-Risiko zeigt sich in einer Erhebung professioneller Prognostiker, bei der die Inflationserwartungen von Ökonomen in einer Wahrscheinlichkeitsverteilung dargestellt werden. Es ist eine Datenreihe mit einer geringen Bewegung, aber am rechten Ende, dem Tail, zeigt sich deutlich ein kontinuierlicher Anstieg der Inflationserwartungen von über 4 %. Auch die mittlere Verteilung bewegt sich auf 3 % zu (gegenüber einem Vor-Corona-Niveau von 2 % oder niedriger).
  2. Sobald der Höhepunkt der Inflation und der a priori festgesetzte Leitzins (wenn es dieses Ziel noch gibt) erreicht sind, ist es an der Zeit, die Zinsanhebungen zurückzufahren. In diesem Stadium entspricht der Leitzins nicht unbedingt dem ex post festgestellten Höchstwert. Dieser ergibt sich erst, wenn die Inflation auf das Zielniveau zusteuert. Leider verfolgen die meisten Zentralbanken der Industrieländer in ihrer Kommunikation keinen akademischen Ansatz mit neutralen Zinsen und Höchstwerten mehr, sondern sprechen stattdessen von einer Preisbildung im Markt. Damit wurde in den letzten Jahren eindeutig das falsche Signal gegeben.
  3. Schließlich werden die Zinsen hochgehalten, um zu beobachten, ob sich die geldpolitischen Maßnahmen auf die Realwirtschaft auswirken, da die Geldpolitik immer mit einer Verzögerung wirkt. Normalerweise verschärfen geldpolitische Maßnahmen zunächst die Finanzierungsbedingungen. Dies ist eindeutig heute der Fall. Diese verschärften Finanzierungsbedingungen wirken sich schließlich über das Wachstum und die Inflation auf die Realwirtschaft aus. Geht die Inflation nicht in ausreichendem Maße zurück, kann die EZB ihre Politik überdenken und neue Zinsanhebungen erwägen. Zu beachten ist, dass anhaltend hohe Leitzinsen eine restriktivere Wirkung haben können als die ursprünglichen Zinsanhebungen. In den letzten Jahren beobachtete die EZB eher die Auswirkungen der Geldpolitik auf die Finanzierungsbedingungen als auf die finanziellen Bedingungen. Dies ist für die Eurozone eher geeignet, da dort die Finanzierung vorwiegend über Banken erfolgt und nicht (wie in den USA) über den Aktienmarkt. Generell beurteilt die EZB die Finanzierungsbedingungen über verschiedene Kanäle: Sie prüft, zu welchen Zinsen Banken Privathaushalten und Unternehmen Kredite gewähren, analysiert Zinsen und Kreditmargen für Staaten und Unternehmen und überwacht das Bonitätsniveau und die erwartete Aufnahme von Bankdarlehen anhand von Umfragen. In jüngster Zeit haben sich die Bedingungen in den meisten Finanzierungskanälen verschärft. Dies bedeutet, dass sich die Maßnahmen der EZB auf die Realwirtschaft auswirken … aber mit einer zeitlichen Verzögerung.

 

Auf der Grundlage dieses abgestuften Konzepts dürfte die EZB bis zum Ende des ersten Quartals 2023 die Zinsen wahrscheinlich auf 2,5 bis 3 % anheben. Dies entspricht mehr oder weniger der Preisbildung im Markt. In einer anschließenden Phase, in der die Zinsschritte ausgesetzt werden, kann die EZB die Auswirkungen auf die Finanzierungsbedingungen und die Realwirtschaft beobachten. In den kommenden Quartalen wird die Aufgabe, die Balance zwischen Inflation und Realwachstum zu halten, zu einer Herausforderung, da das Realwachstum schneller zurückgehen könnte als die Inflation.

Den zweiten Teil des geldpolitischen Instrumentenkastens, der sich noch nicht normalisiert hat, bilden die Ankaufprogramme. Ein abgestuftes Konzept ist nicht vonnöten. Lassen Sie uns auf die einzelnen Ankaufinstrumente und wie sie die Märkte lenken eingehen.

  1. Im gegenwärtigen makroökonomischen Umfeld ist es angebracht, das Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (Asset Purchase Programme, APP) ab dem zweiten Quartal 2023 auslaufen zu lassen. Das heißt, die EZB wird ihre fälligen Anleihen oder Coupons nicht mehr reinvestieren, da sie dann vielleicht entschieden hat, die Zinsanhebungen auszusetzen. Zudem wird der anspruchsvolle Plan zur Ausgabe von Staatsanleihen, der den Regierungen die Sicherung einer Finanzierung auf einem höheren, aber stabileren Niveau ermöglicht, im ersten Quartal erledigt sein. Es gibt keine aktiven Verkäufe von Vermögenswerten nach dem APP. Die EZB ist sichtlich besorgt über die Kosten ihrer geldpolitischen Maßnahmen. Die Mitgliedstaaten sind über ihre Nationalbanken die Hauptanteilseigner der EZB. Der aktive Verkauf der Anleihebestände, die mit einem Marktwertverlust gehandelt werden, könnte bedeuten, dass die Staaten die Kosten für eine Rekapitalisierung der EZB tragen müssen, da dieser über ihrem Eigenkapital liegen könnte. Dies könnte als geldpolitische Finanzierung gesehen werden. Wären beispielsweise die Verluste aus den italienischen Anleihebeständen der EZB weit höher als die aus den deutschen, müsste der deutsche Staat für diese Verluste teilweise aufkommen. Denn das Eigenkapital der EZB wird auf die Verluste des gesamten APP-Portfolios angewandt, nicht nur auf die deutschen Anleihebestände. Das Argument der geldpolitischen Finanzierung ist für die APP- und PEPP-Portfolios immens wichtig, aber weniger kritisch für die gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte (TILTRO – Targeted Longer-Term Refinancing Operations). Nachdem das Verlustargument anscheinend ein wichtiger Grund für die TILTRO-Entscheidungen war, wird es für APP nicht weniger wichtig sein. Angesichts der weltweiten Synchronisation der expansiven und restriktiven Geldpolitik der Zentralbanken ist nicht ersichtlich, weshalb die EZB anders handeln sollte als die Fed, die Wertpapiere immer noch nicht aktiv verkauft.
  2. Der weitere flexible Einsatz von Reinvestitionen im Rahmen des Pandemie-Notfallankaufprogramm (Pandemic Emergency Purchase Programme, PEPP) ist die erste Verteidigungslinie der EZB gegen ungerechtfertigte Bewegungen der Anleiherenditen. Die Verpflichtung der EZB zu diesem Ansatz wurde durch den überproportionalen Ankauf aus Peripherieländern und den unterproportionalen Ankauf aus Kernländern in diesem Sommer bestätigt.
  3. Das Instrument zur Absicherung der geldpolitischen Transmission (Transmission Protection Instrument, TPI) wird beibehalten. Es hat sich als Kommunikationsinstrument im Juli 2022 nach dem sprunghaften Anstieg bestimmter Spreads und Renditen bewährt. Die zugrundeliegenden Bedingungen des TPI sind nicht bindend und können leicht erweitert werden. Noch wichtiger ist, dass der Umfang des Programms unbegrenzt ist. Dieses Programm ist die letzte Verteidigungslinie der EZB, ein Schutzschirm, der bei Bedarf ohne Zögern aufgespannt wird.

 

Unseres Erachtens gehen die aktuellen geldpolitischen Maßnahmen der EZB in die richtige Richtung. Die bevorstehenden Mitteilungen zu den Leitzinserwartungen und zum Abbau ihrer Bilanz werden von den Finanzmärkten sehr intensiv geprüft. Seit Beginn der COVID-Krise hat sich die Kommunikation der EZB deutlich verbessert, ebenso wie ihre Bereitschaft, das Notwendige zu tun, um die Inflation im Rahmen ihres Mandats unter Kontrolle zu bringen, sei es über oder unter den Zielwert.

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