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CIO’s VIEW

(US-) Zinsen rücken in den Mittelpunkt

Von Alexander Roose,
CIO Fundamental Equity bei DPAM

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Vor etwas mehr als einem Jahr, am 11. März, erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Ausbruch des Coronavirus offiziell zur Pandemie, da sich die COVID-Fälle außerhalb Chinas in den vorangegangenen zwei Wochen mehr als verzehnfacht hatten. Am selben Tag hatte die italienische Regierung keine andere Wahl, als den härtesten Lockdown anzukündigen, den es bisher auf dem europäischen Kontinent gegeben hatte. Und derzeit bereitet sich Italien, angesichts eines erneuten Ausbruchs im Zusammenhang mit der britischen Variante von COVID-19, auf einen dritten Lockdown an Ostern vor.

Es ist kaum zu glauben, dass ein Jahr vergangen ist, seit die Lockdowns begannen. Die darauffolgende Achterbahnfahrt und die Maßnahmen, die an der fiskalischen, monetären und gesundheitspolitischen Front ergriffen wurden, haben ungeahnte Ausmaße angenommen. Und man kann sich durchaus fragen, wie das alles in nur ein einziges Jahr „passen“ konnte. Auch die Aktienmärkte waren von Turbulenzen geprägt. Das reichte von einem sturzartigen Crash während weiter Teile des Monats März 2020 und setzte sich, nach monumentalen geld- und fiskalpolitischen Lebenserhaltungsmaßnahmen, mit einem allmählichen Erholungsprozess fort. Dabei war der Wendepunkt die Ankündigung der unbegrenzten quantitativen Lockerung durch die Fed am 23. März. Eine dritte Phase in der Entwicklung der Aktienmärkte wurde im November durch die aufeinanderfolgenden Ankündigungen von zwei wirksamen Impfstoffen und anschließend durch die Marktteilnehmer eingeleitet, die auf die Zeit nach den Lockdowns blickten und die Wiedereröffnung unserer Volkswirtschaften einpreisten.

Während die meisten regionalen Wirtschaftsräume bei der Umsetzung weiterer fiskalischer Maßnahmen zurückhaltend blieben, setzte die neue US-Regierung zwei zusätzliche umfangreiche Fiskalprogramme durch, wobei ein großes Infrastrukturgesetz noch in der Schwebe ist. Diese haushaltspolitische Großzügigkeit, gepaart mit der wahrscheinlichen Freisetzung überschüssiger privater Ersparnisse nach den Lockdowns und einer zügigen Durchimpfung in den USA (anders als in der EU), hat die Renditen für zehnjährige US-Staatsanleihen steigen lassen und seit Mitte Februar einen bemerkenswerten Anstieg der zehnjährigen amerikanischen Realzinsen bewirkt. Die zehnjährigen Nominalzinssätze haben sich seit Beginn dieser dritten Phase verdoppelt und das Niveau von 1,5 Prozent vor der Pandemie durchbrochen. Das übertrifft die durchschnittliche Dividendenrendite des S&P500 Index.

Lässt man technische Elemente wie die Auswirkungen der Konvexitätsabsicherung am Markt für hypothekenbesicherte Wertpapiere (MBS) oder die Unsicherheit im Zusammenhang mit der Ausweitung der zusätzlichen Verschuldungsquote (SLR) für US-Banken beiseite, lässt sich der Anstieg der Nominalzinssätze in zwei Phasen zerlegen: eine reflationäre Phase (gekennzeichnet durch einen allmählichen Anstieg der Break-Evens) und eine anschließende Phase, in der die Marktteilnehmer beginnen, eine „unter hohem Druck stehende“ US-Wirtschaft abzudiskontieren. Diese letztgenannte Teilphase ist durch steigende Realzinsen gekennzeichnet und spiegelt die besseren Wachstumsaussichten wider. Sie ist aber auch (potenziell) ein Anzeichen für die wachsende Unruhe unter den Marktteilnehmern im Hinblick auf die Fähigkeit der haushalts- und geldpolitischen Instanzen, weiterhin im Einklang zu arbeiten. Und das, obwohl die US-Notenbank (Fed) eindeutig über ihr flexibles durchschnittliches Inflationsziel (Flexible Average Inflation Target, FAIT) informierte und dabei hervorhob, dass sie den Fokus auf die gemeldeten tatsächlichen und nicht auf die voraussichtlichen Daten legen werde und somit den vorübergehenden Inflationsdruck außer Acht lässt. Strategen scheinen von einem einzigen Punkt wie hypnotisiert zu sein, nämlich der Rendite fûr zehnjährige US-Staatsanleihen. Insbesondere scheinen sie sich über dessen aktuelle und zukünftige Richtung und die Auswirkungen auf ihre Positionierung als Aktienanleger Gedanken zu machen. Die US-Zinsen sind ein Top-Thema, selbst für unerfahrene Experten, und standen in den vergangenen Wochen eindeutig im Mittelpunkt des Interesses.

Für den Moment haben die Aktienmärkte die Zinswende gut weggesteckt, da sich die finanziellen Bedingungen nicht verschärft haben, der Inflationsdruck gut eingedämmt ist und die Realzinsen komfortabel im negativen Bereich bleiben. Darüber hinaus haben Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks beeindruckende Ergebnisse für das vierte Quartal gemeldet. Im Moment übertreffen die hervorragenden Wachstums- und Gewinnaussichten den Gegenwind, den ein höherer Diskontierungszins auf die Aktienbewertungen ausübt (außer bei überbewerteten Aktien). Unter der Oberfläche hingegen vollzog sich eine frenetische Neuausrichtung des Marktes. Leider ist dies symptomatisch und wiederholte sich im vergangenen Jahr mehrfach. Die Aktienmarktteilnehmer scheinen dazu getrieben zu sein, entweder in Wachstums- oder Value-Faktoren zu investieren (mit sehr wenig Spielraum in der Mitte). Sie verfolgen einen Anlagehorizont, der anscheinend nicht weiter als sechs Monate reicht (wir möchten auf die lebhafte Bereitschaft hinweisen, plötzlich die Begünstigten einer Wiedereröffnung zu „spielen“, kurz nachdem die Impfstoffnachrichten herauskamen). Darüber hinaus begeben sie sich in die Abhängigkeit von den Maßnahmen und Worten der Zentralbanker. All dies führt zu einem erratischen und volatilen Aktienmarktverhalten. Erschwerend kommen die Dominanz von ETFs (aktiv oder passiv) oder CTAs, der zunehmende gehebelte und spekulative Handel und die in den vergangenen Wochen auftretenden positiven Korrelationen zwischen Anleihen und Aktien hinzu.

Wie bereits ausführlich von CIO Fixed Income Peter De Coensel in seinem exzellenten Beitrag QE² erläutert, sind die Tage eines gut eingedämmten Volatilitätsindex längst gezählt, und wir sollten uns daher an strukturell höhere Volatilitätsniveaus gewöhnen. Daher sollten wir auch keine strukturell niedrigeren Aktienrisikoprämien (ERP) modellieren, eine weitere Schlüsseldeterminante bei der Berechnung von Diskontsätzen (neben den langfristigen Realzinsen). Die starke Widerstandsfähigkeit der Aktienmärkte, die wir bisher beobachtet haben, könnte im Falle weiterer Turbulenzen an den Anleihemärkten auf eine harte Probe gestellt werden.

Obwohl wir kein großer Fan davon sind, Unternehmen in Stilkategorien einzuteilen, ist die überdurchschnittliche Wertentwicklung von Assets mit kürzerer Duration oder Value-Aktien in den vergangenen Wochen bemerkenswert und irgendwie ein Beleg für die Fixierung auf langfristige Zinsen (siehe Grafik unten).

MSCI World Growth ggü. MSCI World Value seit den Meldungen über Impfstoffe

Quelle: DPAM

Zugegeben, eine Art „Marktbereinigung“ von Unternehmen, deren Generierung von freiem Cashflow (FCF) weit in die Zukunft prognostiziert wird, war längst überfällig und eine willkommene Entwicklung (auch von Seiten der Zentralbanken). Demgegenüber werden einige wertorientierte Sektoren überproportional von einem zyklischen Aufschwung profitieren– obwohl dies bereits gut eingepreist ist – und weniger unter einem höheren Diskontsatz leiden. Wir befürworten es jedoch nicht besonders, sich zu sehr auf makroökonomische Impulse wie Zinsen oder Inflation zu konzentrieren, um mit Überzeugung in strukturell wachsende Trends zu investieren und robuste Portfolios zu konstruieren.

Nehmen wir zum Beispiel Immobilien. In der Vergangenheit profitierte der gesamte Immobiliensektor von einer steigenden Inflation durch höhere Mieten, da die Verträge in der Regel an den Verbraucherpreisindex gekoppelt sind. Die Voraussetzung dafür, dass dieser Mechanismus nachhaltig erhalten bleibt, ist, dass der Vermieter seine Preissetzungsmacht auf Dauer behält. In einigen Nebensegmenten des Immobiliensektors wie Einkaufszentren oder Bürogebäuden hat sich das Kräfteverhältnis zwischen Vermietern und Mietern bereits zu Gunsten der Letzteren verschoben und mit COVID sogar noch beschleunigt.

Nur die besten Anlagen in diesen angeschlagenen Nebensegmenten des Immobiliensektors werden ihren Status als Inflationsabsicherung behalten. Daher ist es nicht sehr naheliegend, aus einer steigenden Inflation direkte Schlüsse für einen typischen Inflationsprofiteur zu ziehen, wie es vielleicht zunächst erscheint. Aus bilanzieller Sicht können steigende Zinsen das Portfolio eines Vermieters in Mitleidenschaft ziehen (z. B. Verletzung von Vertragsklauseln, erzwungener Verkauf von Vermögenswerten). Und das gilt insbesondere, wenn die zugrunde liegenden Vermögenswerte niedrig verzinst sind und hohe Beleihungsquoten aufweisen. Auswahl und Überzeugung sind wiederum entscheidend, um fundierte Anlageentscheidungen zu treffen. Mit Blick auf das aktuelle Marktumfeld stellen wir fest, dass sich in der Kategorie der so genannten Aktien mit Anleihecharakter (Bond-Proxies) wie börsennotierte Immobiliengesellschaften, Versorger, Basiskonsumgüter oder große Pharmaunternehmen Ertragspotenzial abzeichnet.

Auch wenn die Zinssätze ein entscheidender Top-Down-Einflussfaktor für die zukünftige Entwicklung eines bestimmten (Teil-)Sektors sein können, müssen andere wesentliche Einflussfaktoren berücksichtigt werden, die die Zinsdynamik in den Schatten stellen können. Oft werden bei dieser Top-Down-Analyse die disruptiven Kräfte unterschätzt. Was auf lange Sicht zählt, ist die tatsächliche Fähigkeit eines Unternehmens oder Teilsektors, sich zu steigern (d.h. das Alleinstellungsmerkmal (Unique Selling Proposition, USP) der Aktienanlage) und Shareholder Value zu schaffen, und nicht die wankelmütige Meinung der Anlegergemeinde über die kurzfristigen Aussichten. Darüber hinaus wird die Langlebigkeit der Wertschöpfung von den Marktteilnehmern oft unterschätzt und ist somit eine Ursache von Marktineffizienz. In der Regel gilt für Anlagen mit kürzerer Duration das Gegenteil, d.h. eine Überbewertung der Beständigkeit der Cashflow-Generierung. Vorausgesetzt, dass sie zu angemessenen Bewertungskennzahlen gekauft werden, verfügen steigerungsfähige Unternehmen (oder Unternehmen mit längerer Duration) über die inhärente Qualität, langfristig eine Outperformance zu erzielen. Außerdem können sie die Inflation aufgrund ihrer stärkeren Preisgestaltungsmacht und höheren Margen besser verkraften, während sie ihr Geschäft mit einem geringeren Fremdkapitaleinsatz führen.

Bei der Steuerung der Portfolios in unterschiedlichen Marktsituationen und unter Berücksichtigung der heftigen Ausschläge an den Aktienmärkten in der Vergangenheit konzentrieren wir uns auf Elemente wie Liquidität, Inflation oder Zinssensitivität auf Portfolioebene (z. B. die Berücksichtigung von mehr „Quality-Value“-Ideen oder die Vermeidung von „Konzept“-Aktien), da sie die Robustheit des Portfolios erhöhen können. Ein Barbell-Ansatz bei Unternehmen mit „gesundem Wachstum zu einem angemessenen Preis“ und „günstigen, aber nicht defekten Geschäftsmodellen“ ist im Portfoliokonstruktionsprozess zu jedem Zeitpunkt entscheidend.

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