oranjesub

CIO’s VIEW

Technologie hebt ab:
können die Märkte folgen?

Von Alexander Roose,
CIO Fundamental Equity bei DPAM

wit-pijl

Seit unserem letzten Update von Anfang Juli tendieren die Aktienmärkte in Europa seitwärts, während der S&P500 (in EUR) bis Ende August eine Outperformance gegenüber anderen Marktindizes verzeichnete. Über den August machten die FANG+-Aktien (u. a. Tesla und NVIDIA) einen massiven Sprung von 20%. Die Polarisierung der US-Aktienmärkte vollzieht sich seit zehn Jahren, wobei Wachstumstitel die Substanzwerte übertreffen. Doch dieser Trend beschleunigte sich im Jahr 2020 (die Hälfte des Wachstums der vergangenen zehn Jahre wurde 2020 verzeichnet) und gipfelte 2020 in einer Hochphase. Man kann diesen Polarisierungstrend auch betrachten, indem man die Top-5-Performancebeiträge im S&P500 seit Jahresbeginn berechnet und sie mit dem durchschnittlichen Beitrag der vergangenen 10 Jahre vergleicht. Die Performancelücke beträgt etwa 4 Prozentpunkte und ist noch größer als 2019 (siehe Grafik 1).

Grafik 1: Die Top-5-Performancebeiträge im S&P500 seit Jahresbeginn

AAPL

Apple

AMZN

Amazon.com, Inc.

BAC

Bank of America Corporation

BRK

Berkshire Hathaway Inc.

C

Citigroup Inc.

CVX

Chevron Corporation

FB

Facebook, Inc. (FB)

GE

General Electric Company

GOOG

Alphabet Inc.

IBM

International Business Machines Corporation

INTC

Intel Corporation

JNU

Johnson & Johnson

JPM

JPMorgan Chase & Co.

MSFT

Microsoft Corporation

NVDA

NVIDIA Corporation

PFE

Pfizer Inc.

PM

Philip Morris International Inc.

T

AT&T Inc.

WFC

Wells Fargo & Company

X

United States Steel Corporation

XOM

Exxon Mobil Corporation

Quelle: DPAM, Bloomberg, seit Jahresbeginn bis 17. September 2020 (YTD)

Tesla legte im August um „elektrisierende“ 75% zu und seine Marktkapitalisierung näherte sich der gesamten Marktkapitalisierung aller börsennotierten Automobilhersteller zusammen. Wir waren verwirrt im Hinblick auf die fundamentalen Gründe für die Kursexplosion von Tesla (Durchbrüche, die auf dem „Battery Day“ von Tesla mitgeteilt werden sollten? Ein unterschätzter Gesamtmarkt für Elektrofahrzeuge?) und erhielten mittlerweile eine teilweise, aber nicht zufriedenstellende Erklärung. Es kam nämlich innerhalb einiger Monate zu einer Verdreifachung der Call-Aktivitäten bei den großen Technologieaktien (und damit auch bei Tesla), was Händler zu Absicherungen und zum Kauf der zugrundeliegenden Aktien veranlasste, sodass der Aufwärtstrend verstärkt wurde. Wenngleich Tesla (bislang) einen Wettbewerbsvorteil bei der Batterietechnologie oder beim internen Know-how bei Software für selbstfahrende Autos der Zukunft hat, wird das Unternehmen nicht den gesamten Automobilsektor (einschließlich anderer Mitbewerber wie Uber und Waymo) vernichten. Gleichzeitig muss das Unternehmen in angrenzenden Bereichen noch einiges unter Beweis stellen (Tesla Energy, Versicherung).

Wir räumen ein, dass es auf dem Markt in einigen Bereichen ein wenig brodelt (neben den Unternehmen im Umfeld von Elektrofahrzeugen seien einige der jüngsten Börsengänge von Softwareunternehmen erwähnt). Dennoch halten wir Vergleiche mit der Technologieblase von 2000 für unangemessen. Im Hinblick auf die Bewertung weisen wir auf die starke zugrundeliegende Gewinndynamik des Technologiesektors (IT und Kommunikationsdienste) hin (siehe Grafik 2) sowie auf eine durchschnittliche FCF-Rendite von 3,5% (aufgrund der höchsten FCF-Umwandlung aller GICS1-Sektoren), was in etwa dem Marktdurchschnitt entspricht.

Grafik 2: Starke zugrundeliegende Gewinndynamik – Technologiesektor

Quelle: Refinitiv, Credit Suisse research

Eine Bewertung dieser längerfristigen Vermögenswerte lässt sich natürlich nicht ohne Berücksichtigung der Zinssätze und ihrer künftigen Entwicklung vornehmen. Da die Fed in der vergangenen Woche verlauten ließ, dass sie ihre Zinsen bis zum 4. Quartal 2023 nicht anheben werde, nachdem sie neue geldpolitische Rahmenbedingungen geschaffen hatte (die Inflation darf nun über die 2%-Marke hinausschießen), und aufgrund unserer Überzeugung, dass der Inflationsdruck in den nächsten Jahren moderat bleiben dürfte (mehr dazu weiter unten), kann man davon ausgehen, dass die langfristigen Zinssätze moderat bleiben.

Aus eher fundamentaler Sicht sind wir – wie im vorangegangenen Update erwähnt – überzeugt, dass die Verbreitung von Technologie (sei es Automatisierung, Migration in die Cloud oder komplexere technologische Trends wie KI, Big Data, maschinelles Lernen usw.) noch einen weiten Weg auf zahlreichen Endverbrauchermärkten vor sich hat. Die gesamte COVID19-Krise und die damit verbundenen Lockdowns haben den Trend nur beschleunigt, ohne einen bedeutenden Kannibalisierungseffekt auf den jeweiligen künftigen Zielmärkten zu haben. Angesichts der für diese Technologieunternehmen (insbesondere im Softwareumfeld) charakteristischen Skalierbarkeit sind Umsatzsteigerungen nur mit sehr geringen Grenzkosten verbunden. Dies ermöglicht ein schnelles Margenwachstum und eine starke Generierung von freiem Cashflow (FCF). Zudem trägt es auch zur Erklärung der relativ höheren Kurs-Gewinn-Verhältnisse oder Kurs-Umsatz-Kennzahlen einiger dieser Softwareunternehmen bei, immer vorausgesetzt, dass sie ihren Wettbewerbsvorteil halten können.

Nehmen wir zur Veranschaulichung eines Endverbrauchermarktes, auf dem die Digitalisierung noch in den Kinderschuhen steckt, das Bauwesen. Entwerfen, Planen und Bauen eines Bürogebäudes unter Beteiligung verschiedener Parteien (Architekt, Auftragnehmer, Subunternehmer) erfolgt nach wie vor mithilfe von Bleistift und Papier. Hierdurch kommt es zu bedeutenden Verzögerungen, Kostenüberschreitungen und Verschwendungen. Mit Building-Information-Management-Software sind all diese Parteien digital vernetzt, was eine Digitalisierung in 3D des gesamten Zyklus vom Entwurf bis zum Bau des Büros ermöglicht. Die unmittelbaren Kosteneinsparungen (etwa 25%) sind erheblich, insbesondere bei komplexen Bauprojekten. Es lassen sich jedoch auch indirekte Kosteneinsparungen (pünktlicher Projektabschluss, weniger Ausschuss) oder andere Vorteile (beispielsweise höhere Energieeffizienz des Bürogebäudes) erzielen. Im britischen Bauwesen ist die Marktdurchdringung in Europa am größten (25%), aber in einigen Schwellenländern wie Brasilien oder China liegt sie nur bei 2-3%. Dieses Beispiel bestätigt nicht nur unsere Ansicht, dass es für die Verbreitung von Technologie noch viel Spielraum nach oben gibt, sondern verdeutlicht auch die deflationären Kräfte, die von eben dieser Verbreitung freigesetzt werden. Man denke auch an andere Technologieanwendungen, die erhebliche Kosteneffizienz bewirken, wie etwa Präzisionslandwirtschaft, Augmented Reality (z. B. HoloLens), maschinelles Lernen und Sehen usw.

Dies führt uns direkt zum Kern einer zentralen Debatte unter Marktteilnehmern, die nach den durchaus erwarteten neuen Rahmenbedingungen der Fed noch an Bedeutung gewonnen hat, nämlich über Inflation, ihre mögliche Auswirkung auf verschiedene Anlageklassen und ob sie eine bedeutende Stilrotation bei Aktien bewirken kann. Diese Marktteilnehmer stehen einer über einen Zeitraum von 3-5 Jahren steigenden Inflation recht gleichgültig gegenüber. Wenngleich der Umfang der geld- und fiskalpolitischen Reaktion auf die Pandemie unvergleichlich ist (und auf absehbare Zeit noch anhalten wird), gibt es – neben der weiteren Verbreitung von Technologie – starke disinflationäre Kräfte, die man nicht außer Acht lassen sollte, nämlich bedeutende Produktionslücken, alternde Gesellschaft (die die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes begrenzt), massive Schuldenlasten und das Überhandnehmen von Zombie-Unternehmen, die die Preismacht von Mitbewerbern eindämmen. Zudem bieten Aktien angesichts der Lücke zwischen Gewinnrenditen und risikolosen Zinsen eine mehr als angemessene Absicherung gegen Inflation. Somit dürfte die Auswirkung von Inflation auf jegliche potenzielle Stilrotation nicht übertrieben ausfallen. Man sollte vielmehr den strukturellen Triebkräften von wachstums- oder substanzorientierten Sektoren mehr Aufmerksamkeit schenken, um ihre längerfristigen Aussichten einzuschätzen. Banken werden beispielsweise (aufgrund ihrer Verbindung mit einer sich versteilernden Renditekurve) oft als Nutznießer von Inflation gepriesen. Wir halten jedoch strukturelle Hemmschuhe für bedeutsamer, die langfristig noch zunehmen werden. Der bevorstehende Börsengang von ANT Financial veranschaulicht diese Überzeugung. Denn er wird einen stärkeren Einfluss auf die traditionellen Aktivitäten einer Bank in China haben (Zahlungsverkehr, Verbraucherkredite, Vermögensverwaltung, Darlehen an kleine und mittlere Unternehmen) und nutzt dabei seinen riesigen vorhandenen Nutzerstamm und bietet ein hervorragendes Verbrauchererlebnis. In den Industrieländern übernehmen mehr Plattform- oder Fintech-Anbieter das Manuskript von ANT, die ihrerseits auch allmählich in die entwickelten Märkte vordringt. Banken laufen Gefahr, davon beeinträchtigt zu werden (Verlust des Zugangs zum Endkunden), insbesondere wenn sie sich dieser disruptiven Kraft nicht bewusst sind und sich nicht schnell anpassen können. Auch hier spielt Digitalisierung eine entscheidende Rolle.

Die Aktienmärkte erwiesen sich trotz der erneuten Zunahme von COVID-19-Fällen und der bisher ungleichmäßigen Erholung als recht robust. Einige Teile der Wirtschaft erholten sich schnell oder sind sogar überhitzt (man sehe sich nur die US-Bauholzpreise an). Doch Teilsektoren, die auf Massenpublikum angewiesen sind, leiden weiterhin, und einige von ihnen wie etwa die Luftfahrtbranche haben massive Entlassungen angekündigt. Angesichts des arbeitsintensiven Charakters dieser Teilsektoren hat sich die soziale Ungleichheit (insbesondere in den USA) weiter verschärft. Es sind zielgerichtetere fiskalpolitische Maßnahmen erforderlich. Obwohl Demokraten und Republikaner sich bisher noch nicht auf ein Haushaltspaket einigen konnten, gehen wir davon aus, dass es zu einem Konsens kommen wird. Leider geschieht dies jedoch heute mehr als früher erst nach einigen Runden eines politischen Schaukampfes. Auch in Europa erwarten wir nach einer neuen Episode der Brexit-Saga, dass in letzter Minute ein Mittelweg gefunden wird. In Erwartung eines effektiven Impfstoffs (Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres) und angesichts anhaltender geldpolitischer und zunehmender haushaltspolitischer Unterstützung gehen wir davon aus, dass die makroökonomische Erholung andauern und gleichmäßiger verteilt sein wird. Dies könnte Unternehmen zugutekommen, die am härtesten von der Gesundheitskrise betroffen waren, wenngleich wir bei der Auswahl sogenannter COVID-19-Verlierer äußerst selektiv vorgehen würden. Die Qualität des Geschäftsmodells, die Bilanz und das Potenzial, gestärkt wieder aufzusteigen, sind zentrale Aspekte dieses Auswahlprozesses. Wie an anderer Stelle bereits erwähnt sollte der Kern eines Aktienportfolios aus Qualitätsunternehmen bestehen, die in der Lage sind, ihre Umsätze während des gesamten Zyklus zu steigern, die Wettbewerbsvorteile haben, relativ gering verschuldet sind, weniger anfällig für disruptive Kräfte sind und im Idealfall in der Lage sind, die sogenannten Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) für sich zu nutzen. Alles in allem ein leicht positives Umfeld für die Aktienmärkte, wenngleich wir nicht von Kursfeuerwerken ausgehen, da bereits mit einer breiten Erholung gerechnet wurde (und sich einige Indextitel in diesem Jahre schon recht gut entwickelt haben). Wir halten an unserer Erwartung eines seitwärts tendieren Aktienmarktes fest. Oft wird der größte Teil des Aufwärtspotenzials der Aktienmärkte realisiert, wenn sich die Lage von sehr schlecht zu schlecht ändert. Aus unserer Sicht besteht das größte Risiko für das vierte Quartal in einer angefochtenen US-Wahl und einem erneuten markanten Anstieg der durch COVID-19 bedingten Todesfälle.

Video
Share

Your name

Your e-mail

Name receiver

E-mail address receiver

Your message

Send

Share

E-mail

Facebook

Twitter

Google+

LinkedIn