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CIO’S VIEW

Details sind wichtig, wenn die Märkte immer mehr an Reichweite verlieren

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Von Peter De Coensel,
CIO Fixed Income bei DPAM

STAND DER DINGE

    • Der plötzliche Risk-Off-Modus der Investoren am 11. Juni wirkte rund um den Globus wie ein Weckruf. Es war eine freundliche Erinnerung daran, dass der globale geldpolitische Backstop zwar Risikoanlagen unterstützt, sie aber nicht vor Korrekturen abschirmt. Die Pressekonferenz von Fed-Präsident Powell letzte Woche hatte einen Unterton von Unsicherheit, der als getarnte Warnung vor spekulativem Verhalten diente. Rückblickend kann man sagen, dass Front-Running wie auch die Schnäppchenjagd eine makellose Erfolgsbilanz vorweisen können. Und das nicht nur in der Zeit nach der globalen Finanzkrise (GFC), sondern auch schon in den 10 Jahren zuvor. Während der Fed-Präsidentschaft von Alan Greenspan haben sie dem spekulativen Fehlverhalten des Hedgefonds LTCM aus der Patsche geholfen und im Zuge der spekulativen Internetblase 2000/2001 eine Senkung der Zinspolitik auf 1,00% herbeigeführt. Der Hauptunterschied zwischen der Zeit vor und nach der GFC besteht darin, dass die Zentralbanken direkte Interventionen durch Kaufprogramme von Vermögenswerten in ihren Politik-Mix aufgenommen haben. Demnächst könnten wir sogar eine explizite Steuerung der Zinskurven sehen. Am 19. März senkte die Reserve Bank of Australia (RBA) die Leitzinsen auf einen neuen Tiefstand von 25 Basispunkten (bp). Darüber hinaus beschloss sie, den Leitzinssatz für dreijährige Staatsanleihen um 25 bp beizubehalten. Diese deutliche Entscheidung führte zu überraschenden Ergebnissen. Die RBA hatte seit Anfang Mai keine Asset-Käufe mehr durchgeführt! Die dreijährige australische Staatsanleihe beendete die letzte Woche bei 24,2 bp. Am Freitag schwankte die 1,48%-Zinsdifferenz australischer 2- und 30-jähriger Papiere zwischen 1,35% und 1,7% seit Beginn der Zinskurvenintervention. Mission erreicht, und zwar ohne das Funktionieren des Marktes zu verzerren, indem versucht wird, die gesamte Renditekurve zu kontrollieren. Andere Zentralbanken folgten dem Beispiel der RBA, indem sie implizit oder explizit die Forward Guidance bis zum 3-Jahres-Punkt auf ihren jeweiligen Zinskurven verstärkten. Das Programm zur Zinskurvenkontrolle der Bank of Japan, das auf den 10-Jahres-Punkt abzielt, könnte hingegen zu kompliziert sein und neben der Verschärfung des spekulativen Verhaltens wenig bewirken. Dies sollte vermieden werden, da die Inflation der Finanzanlagen bereits ein hohes, möglicherweise nicht nachhaltiges Niveau erreicht hat. Wie dem auch sei, der Kommentar von Fed-Präsident Powell zu der Frage, „ob der Einsatz der Renditekurvenkontrolle immer noch eine offene Frage ist“, deutet auf eine Änderung des bevorstehenden politischen Verhaltens hin.

    • War die starke Korrektur an den US-Aktienmärkten auf die besorgniserregende Entwicklung der COVID-19-Infektionsraten zurückzuführen? Oder war sie auf die Mitteilung der Fed zurückzuführen, in der eine Erhöhung der Repo-Kreditzinsen um 5 Basispunkte über den für Überschussreserven (IOER) gezahlten Zinsen angekündigt wurde? Beides war wahrscheinlich selbstverstärkend. Die hohen Bewertungsniveaus an den Zins-, Kredit- und Aktienmärkten, die eine V-förmige Wachstumserholung widerspiegeln, sind empfindlicher geworden gegenüber selbst kleinsten Anpassungen der kurzfristigen Finanzierungsbedingungen. Jede unerwartete Straffung kann übergroße Auswirkungen auf alle Marktsektoren haben.

BEWERTUNGEN

    • Die Aufwärtsverschiebung der Renditekurve von US-Treasuries war sehr kurzlebig. Auch das Abflachen der Hausse in der vergangenen Woche hat uns nicht überrascht. Denn sobald die kurzfristigen Zinssätze an der Nullschwelle verankert sind, führt jede Risiko-Phase zu einer Baisse. Umgekehrt folgt eine Risk-Off-Stimmung dem Muster einer sich abflachenden Zinsstrukturkurve. Auktionen für 10-jährige und 30-jährige US-Staatsanleihen konnten nicht verhindern, dass diese langen Zinssätze aggressiv zurückgingen in Richtung 70 bp (von 90 bp) bzw. 1,45% (von 1,67%). Während die 2-Jahres-Zinsen bei 19 bp schlossen, pendelte sich die Differenz zwischen 20- und 30-Jahres-Zinsen bei 126 bp ein. Eine kurze Marktpanik drückte diesen Indikator um 25 bp nach unten! Dies wirft die Frage auf, wie die langfristigen US-Zinsen reagieren würden, wenn sie mit der Tatsache konfrontiert würden, dass die Aktienmärkte die Hälfte ihrer Erholung seit den Tiefstständen vom 23. März wieder abgeben. Die Antwort ist gemischt. Nimmt man die Höchststände des S&P 500-Aktienindex vom 8. Juni, so würde dies einen Rückgang in Richtung 2.750 Punkte bedeuten. Der S&P 500 wurde am 7., 8. und 21. April bei 2.750 Punkten gehandelt. An diesen Tagen lag die 30-jährige US-Anleihe bei 1,30%, 1,37% bzw. 1,16%. Erst die plötzliche Korrektur am 21. April brachte die 30-jährige Anleihe auf 1,16%. Lange Rede, kurzer Sinn: Ausgewogene Portfoliomanager können in Zeiten von Marktstress immer noch mit einem angemessenen Schutz von langlaufenden US-Anleihen rechnen.

    • Auch bei europäischen Staatsanleihen kam es zu einer starken Flucht in Qualität. Deutsche 10-jährige Bundesanleihen fielen um 16 bp in Richtung ihres Gleichgewichtsniveaus von -44 bp. Eine neue „sichere“ Anleihe, die 2021 auf den Markt kommen wird, ändert nichts an den Knappheits- und Qualitätsvorteilen, die deutsche Staatsanleihen stützen. Im Gegenteil beobachten wir ein erhebliches Maß an nach wie vor bestehenden Zweifeln an den Initiativen der Europäischen Kommission. Am Rand kehrte die Fragmentierung der Zinssätze auf die Märkte zurück, da die spanischen, portugiesischen und italienischen 10-Jahres-Zinssätze um 3 bis 4 bp stiegen und die Woche bei 58bp, 55bp bzw. 1,44% schlossen. Interessanterweise durchbrach die starke Performance 10-jähriger Schweizer Anleihen den Widerstand von -50 bp – sie schlossen bei -51 bp. Da die schweizerischen Leitzinsen bei -75 bp lagen und die Zehnjahreszinsen im März 2020 und August 2019 unter 1,00% fielen, sollten wir nicht überrascht sein, dass das Interesse an dem – angeblich – teuersten Anleihenmarkt der Welt anhält.

    • Die Turbulenzen auf den globalen Märkten haben den EUR-Investment-Grade (IG)-Markt für Unternehmensanleihen nicht beeindruckt. Der € IG Iboxx-Index erzielte ein positives Wochenergebnis von 0,10%. Die Marktbereinigung setzte sich fort, und die bisherige Jahresperformance schloss bei -1,29%. Die Flucht in erstklassige Staatsemissionen drückte die Spreads zurück auf über 140 bp. Die Aktivitäten auf dem Primärmarkt blieben lebhaft. Der IG-Sektor kann auf eine stabile Investorenbasis zählen, die ihr Engagement in IG-Unternehmensanleihen in dem Moment ausbaut, in dem sich der Markt zurückzieht. Die Schnäppchen-Mentalität ist nach wie vor gut verankert.

    • Die dreiwöchige Erholung um 7,02% von EUR-High Yield-Anleihen (HY) wurde abrupt gestoppt. Der Rückgang von 1,23% blieb über die Woche moderat. HY-Anleger sollten mit hohen Ausfallraten über die nächsten 12 Monate rechnen. Die Erwartungen tendieren in Richtung einer europäischen 12-Monats-Ausfallrate, die unterhalb der 7%-Marke bleibt, wie wir sie während der GFC 2008/2009 gesehen haben. In den USA gehen wir davon aus, dass die Ausfälle in diesem Jahr zwischen 10% und 13% liegen werden. Der Fokus liegt stark auf Erholung und der erwiesenen Fähigkeit des Sektors zur Refinanzierung von Bilanzen. Wir werden das Niveau des fairen Wertes möglicherweise erst dann erreichen, wenn sich die Spreads im Hochzinssegment um weitere 100 bp einengen. Da die Streuung der Kreditspreads hoch ist, sollten HY-Profianleger die „Überlebenden“ auswählen und gescheiterte Geschäftsmodelle meiden.

    • Nach einer 10%igen Erholung von den Tiefstständen Mitte März haben die Schwellenmärkte eine Verschnaufpause eingelegt. Die Spreads in Landeswährung (GBI-EM) weiteten sich um 10 bp auf 4,00% aus. Hard Currency Investment Grade stieg um 5 bp auf 2,55%. Die breiten Hartwährungen (EMBIG) blieben unverändert bei 5,00%, und die Renditeaufschläge in Subsahara-Afrika in harter Währung gingen um 5 bp auf 7,55% zurück.

    • Die Währungen der Schwellenländer folgten der schwächeren Stimmung nach der Fed-Ankündigung, erholten sich jedoch bis zum Wochenende wieder etwas. Der JP Morgan Emerging Markets Currency Index (EMCI) fiel um 0,85%. Der Dollar-Spot-Index blieb stabil bei 96,70. Hauptperformer waren der thailändische Baht (+1,4% in EUR) und der japanische Yen (+1,9%). Der kolumbianische Peso (-4,60% in EUR), der mexikanische Peso (-3,2%), der chilenische Peso (-2,4%) und der russische Rubel (-2,2%) waren die Währungen mit der schwächsten Performance.

    • Während Europa in einen „Entspannungsmodus“ eingetreten ist, verschlechtert sich die Situation in Lateinamerika. Die Weltwirtschaft wird seit dem Zweiten Weltkrieg am stärksten schrumpfen. Zudem wird der Weltbank zufolge die Produktion der Schwellenländer zum ersten Mal seit mindestens sechs Jahrzehnten schrumpfen. Vor diesem Hintergrund bleiben wir auf kurze Sicht vorsichtig, haben aber einen langfristig positiven Ausblick.

SCHLUSSFOLGERUNG

    • Die erste Junihälfte beantwortete die Frage, ob die Zentralbanken ihrem ‚Whatever it takes‘-Weg weiter folgen würden. Die Antwort lautet eindeutig ‚ja‘. Aber wie nicht anders zu erwarten, sind sich die Zentralbanken der sozialen Spannungen, die sich auf der ganzen Welt ausgebreitet haben, sehr wohl bewusst. Sie verstehen, dass die Existenz ihrer Programme zum Erwerb von Vermögenswerten die Kluft zwischen Vermögenden und Ärmeren beschleunigen wird. Das lässt den Regierungen viel Arbeit. Sie müssen die fiskalischen Anreize auf die Privathaushalte sowie auf den Unternehmens- und Regierungssektor verteilen. Beschäftigung und Beteiligung erfordern einen gesunden Unternehmenssektor. Und die Kaufkraft der Haushalte setzt voraus, dass am Monatsende genügend Geld vorhanden ist. Gleichzeitig wird der Regierungssektor an Bedeutung gewinnen. Die Fiskalpolitik muss in Zeiten zunehmenden Populismus und einer zersplitterten weltpolitischen Landschaft einen prekären Balanceakt vollziehen.

    • In den vergangenen dreieinhalb Monaten dürften die Finanzmärkte sektorübergreifend Tiefst- und Höchststände getestet haben. Wir erwarten bis Mitte 2020 zusätzliche Aktivitäten zur Wiederherstellung des Gleichgewichts. Dies wird das Angebot von Qualitätsanleihen unterstützen und verhindern, dass Risikoanlagen vor einem herausfordernden zweiten Halbjahr 2020 in die Höhe schnellen. „Momentum Investing“ wird Raum für eine fundierte Titelauswahl mit einem längerfristigen Anlagehorizont schaffen.

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