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Bestimmen von Value

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Von Carl Van Nieuwerburgh, Fund Manager Quantitative Equity bei DPAM

Es gibt zahlreiche Definitionen für Substanzwerte oder Value-Aktien in der Investmentbranche, aber in der wissenschaftlichen Literatur steht eine im Vordergrund. In der Regel wird das Buch-zu-Marktwert-Verhältnis herangezogen, um Substanzwerte von Wachstumswerten zu unterscheiden. Die Nobelpreisträger Eugene Fama und Kenneth French wählten dieses Verhältnis, um in ihrem Capital Asset Pricing Model (CPAM) die Value Premium oder Wertprämie zu erfassen.

Die Nützlichkeit der Verwendung des Buch-Marktwert-Verhältnisses bei der Auswahl von Substanzwerten wurde jüngst in Frage gestellt. Es hat sich nicht nur seine Erfolgsbilanz verschlechtert, sondern es stellt sich auch die Frage, in welchem Maße der Buchwert den wirtschaftlichen Wert moderner Unternehmen widerspiegelt. Denn Rechnungslegungsvorschriften sind eher dazu geeignet, den Wert von physischen Vermögenswerten wie Fabriken, Maschinen und Geschäften in der Bilanz zu erfassen. Beim Abbilden des Werts von immateriellen Vermögenswerten, deren Bedeutung im Laufe der Zeit zugenommen hat, sind sie hingegen weniger überzeugend. „Asset-light“-Unternehmen können mitunter ihre Produktion fremd vergeben und online verkaufen, wodurch geistiges Eigentum, Markenimage und Markenbekanntheit zu bedeutenden Faktoren für die Bestimmung ihres Werts werden.

Aus Gründen der Vorsicht stufen die US Generally Accepted Accounting Principles (GAAP) Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) als Aufwand ein und nicht als Investitionen, obwohl sie noch über Jahre Früchte tragen können. Dasselbe gilt für Aufwendungen, mit denen Markenimage und Markenbekanntheit aufgebaut werden, wobei deren Wirkung länger anhält als ein Jahr. Ein Teil der Vertriebsgemeinkosten (Selling, General and Administrative expenses, SG&A) führt genau dazu. So kann man einen Teil dieses Postens in der Gewinn- und Verlustrechnung auch als Investition statt als Aufwand betrachten. Es mag umsichtig erscheinen, dies zu ignorieren; da aber ein erheblicher Teil des Werts eines Unternehmens nicht in seiner Bilanz erkennbar ist, sehen Finanzanalysten die Praxis mittlerweile kritisch.

Aktivieren von F&E und eines Teils der Vertriebsgemeinkosten werden als Lösung vorgeschlagen. Dies würde dem langfristigen Charakter der Vorteile, die sie mit sich bringen, Rechnung tragen. Jedes Jahr können diese Kosten als Investition betrachtet werden, die (immaterielle) Vermögenswerte, das Eigenkapital und den Nettoertrag eines Unternehmens erhöhen. Logischerweise würde der Bestand dieser kumulierten immateriellen Vermögenswerte dann jedes Jahr abgeschrieben, um den ursprünglichen positiven Effekt im Laufe der Zeit wieder aufzulösen.

Das kumulierte F&E-Kapital wird in der Literatur als „Wissenskapital“ bezeichnet und der kumulierte Anteil der SG&A als „Organisationskapital“ . Während der Abschreibungssatz für Letzteres für alle Branchen festgelegt ist, hängt die Abschreibung von Wissenskapital von der Tätigkeit des Unternehmens ab. Ein Pharmaunternehmen kann dank eines effizienten Patentschutzes auf eine lange Lebensdauer jedes von ihm entwickelten Medikaments hoffen, während der Wert des intellektuellen Eigentums von Technologie-Hardwareherstellern in der Regel schneller verfällt.

Erhebliche Anpassungen des Buchwerts nach oben lassen sich somit für Unternehmen wie Netflix, Amazon, Apple und Alphabet durchaus rechtfertigen. Ihr bereinigtes Buch-zu-Marktwert-Verhältnis ist dann letztendlich höher als das mit dem Buchwert im Jahresabschluss berechnete.

Eine weitere begründbare Korrektur des Buchwerts ist der Abzug von Goodwill, der in der Bilanz im Zusammenhang mit der Akquisition anderer Unternehmen verbucht wird. Denn das Argument für das Buch-zu-Marktwert-Verhältnis ist das Erfassen des Unterschieds zwischen dem Marktwert eines Unternehmens und dem Nettoinventarwert seiner Investitionen. Der Herausnehmen von Goodwill aus dem Buchwert stellt organisch gewachsene Unternehmen mit Unternehmen gleich, die sich um externes Wachstum bemüht haben. Auch hier wird sich die relative Attraktivität eines Unternehmens wie Apple, das im Wesentlichen organisch gewachsen ist, gegenüber Mitbewerbern, die extern gewachsen sind, erhöhen. Diese Korrektur wirkt sich immer stärker aus, da Goodwill in den Bilanzen von US-Unternehmen in den vergangenen Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen hat.

Während die Aktivierung von F&E und eines Teils der SG&A nicht für Finanzunternehmen gilt, ist das Herausnehmen von Goodwill eine Korrektur, die auch auf diesen Sektor anwendbar ist.

Es lässt sich also schlussfolgern, dass Technologieunternehmen nach den oben erwähnten Korrekturen des Buchwerts vergleichsweise attraktiver erscheinen. Im Folgenden soll der Schwerpunkt jedoch auf den Vorzügen liegen, die eine Value-Investment-Strategie bietet, die das bereinigte Buch-zu-Marktwert-Verhältnis verwendet, um Unternehmen in jedem Sektor zu bewerten. Sektoren werden proportional zu ihrem Gewicht im gesamten Universum in der simulierten Strategie gewichtet, sodass die üblichen sektoralen Verzerrungen ausgeräumt sind. Die Anpassungen des Buchwerts folgen der Methodik von Park (2019), und die Daten stammen von FactSet. Die Aktien sind aus dem MSCI USA von Dezember 2000 bis Oktober 2020 ausgewählt.

Der in der folgenden Tabelle zusammengefasste empirische Beleg von DPAM spricht sehr stark dafür, diese Anpassungen des Buchwerts vorzunehmen. Sie erhöhen die Rendite des Portfolios im ersten Quartil um 3% per annum im Vergleich zu einer gängigen Anlagestrategie nach dem Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV). Zudem sinkt die Rendite im vierten Quartil um 1,2%, was die Performancedifferenz zwischen dem ersten und dem letzten Quartil um beeindruckende 4% erhöht.

Das bereinigte KBV – das sogenannte PiB (price-to-intangible-adjusted-book-ratio) – verzeichnet auch eine bessere Performance als auf Dividendenrenditen (DR) und Kurs-Gewinn-Verhältnissen (KGV) basierende Strategien. Es sei darauf hingewiesen, dass DR, KGV und KBV in dieser Studie definiert sind als zukunftsgerichtete Kennzahlen über einen 12-Monats-Horizont auf der Grundlage von Konsensprognosen von Analysten, die von FactSet gesammelt wurden. Das PiB wird hingegen anhand historischer Abschlüsse berechnet. Da das PiB durch seinen rückwärtsgewandten Charakter gegenüber den anderen Strategien benachteiligt ist, ist seine Outperformance sogar noch höher zu bewerten.

Vor allem sind die besseren Renditen beim PiB im Vergleich zu KGV- und KBV-Strategien nicht mit höheren Risikokennzahlen verbunden. Die DR-Strategie weist allerdings geringere Drawdowns und weniger Volatilität auf. Trotzdem erweist sie sich in diesem Jahr als defensiver als die DR-Strategie, wie man der Kalenderjahrgrafik entnehmen kann.

Überschussrendite Quartil-Portfolio ggü. MSCI USA und Renditeabweichung zwischen Quartilen.
Annualisierte Zahlen für den Zeitraum vom 31.12.200 bis 12.10.2020

Quelle: DPAM, FactSet und MSCI, 26.10.2020

Diese Grafik zeigt die jährlichen Renditeabweichungen zwischen Portfolios des ersten und des letzten Quartils. Es lässt sich Verschiedenes feststellen. Erstens ist der PiB-Faktor immer noch ein Value-Faktor. Das Auf und Ab seines Erfolgs ist erkennbar mit dem Erfolg der anderen Value-Faktoren verknüpft. Zweitens ist die höhere Rendite im Vergleich zur KBV-Anlagestrategie nicht auf einen einzelnen Ausreißer zurückzuführen. Denn nur in einem von zwanzig Jahren (2007) liegt seine Performance deutlich unter der der herkömmlichen KBV-Strategie. Auch wenn er vom Abschwung von Substanzwerten mitgerissen wurde, gelang es dem PiB-Faktor in den vergangenen Jahren letztendlich deutlich besser, den Schaden einzugrenzen.

Performance-Abweichung bei US-Value-Strategien im 1. bis 4. Quartil
(sektorneutral, 31.12.200 – 12.10.2020

Quelle: DPAM, FactSet und MSCI, 26.10.2020

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Aktivieren von F&E-Aufwendungen und eines Teils der SG&A und das Herausnehmen von Goodwill aus der Bilanz von Unternehmen vom Konzept her durchaus sinnvoll ist. Zudem bringt dies nachweisbar Mehrwert in eine Value-Investment-Strategie ein. Wenngleich es einigen Ermessensspielraum bei der Umsetzung dieser Korrekturen gibt, z. B. im Hinblick auf Abschreibungssätze, sind die Vorteile des PiB erheblich, selbst im US-Large-Cap-Universum. Auf diesem Markt sind natürlich Technologieunternehmen stärker vertreten. In künftigen Studien könnte die Strategie in Europa getestet werden, ebenso wie die Vorzüge von um immaterielle Vermögenswerte bereinigte Gewinnrenditen.

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